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4.3 Vernetzung

Seid ihr mit anderen Kollektivbetrieben vernetzt? Oder mit anderen Betrieben eurer Branche? Seid ihr aktives Mitglied in einem Verband? Seid ihr in politische Zusammenhänge eingebunden? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht?

Die schlechte Nachricht gleich zu Anfang: Nach meiner Erfahrungen der letzten 25 Jahre über Zusammenarbeit bzw. Kooperationen ist die Geschichte der Vernetzung linker/alternativ-ökonomischer Projekte ein mehr oder weniger gescheiterter Versuch, jedenfalls, was qualitative Vernetzung angeht. "Im Westen nichts Neues".

Vorhandene Zusammenschlüsse

  • sind kurzlebig;
  • haben keine politische Ausstrahlung;
  • sind beschränkt auf ein oder ganz wenige Themen/Aufgaben (Fort- und Weiterbildung oder einzelner Branchen wie Fahrradläden, Graphisches Gewerbe, Holzverabeitung);
  • entwickeln Funktionärswasserköpfe (manchmal ganz ohne Basis).

Sie sind, jedenfalls was qualitative Vernetzung betrifft, entweder klein, praxis- und lebensnah, aber ohne Außenwirkung, oder groß und erstarrt, funktional, aber nicht lebendig.

Mein diesbezüglicher Vortrag/Erfahrung beschränkt sich darauf, wie es nicht geht, auf das Benennen bekannter Gefahrenquellen. Die gemachten Erfahrungen sind aber nicht unbedingt übertragbar bzw. verallgemeinerbar. Das eröffnet natürlich im Prinzip Chancen durch neue Versuche. Dabei sind Fehler nicht zu vermeiden, aber neue sollten es sein, alte zu wiederholen ist ziemlich langweilig und vergeudet Kräfte. Vernetzung ist auf alle Fälle in Deutschland zwischen linken Projekten nicht sehr verbreitet, überregional überhaupt nicht, regional vereinzelt. Sie steht in keinem Verhältnis zur Anzahl der Projekte und Initiativen.

Woran liegt’s? (zu blöd, keine Erklärung)

  • Zusammenschlüsse beginnen mit Enttäuschung (evtl. auch heute durch und nach diesem Treffen). Es bekommt nicht jede/r das - was jede/r will. Kompromisse mit den Interesse und Wünschen der anderen beteiligten Individuen oder Gruppen führen zum Beginn der Differenz zwischen Einzelgruppe und Verbund.
  • Die Differenz wächst leider mit der Größe des Zusammenschlusses: Je größer, um so vielfältiger, um so größere Einigungsanstrengungen, um so größer ist am Ende die Differenz zu meinem ursprünglichen Anliegen. Das ist theoretisch nichts Neues.
  • Es stellt sich die Frage nach der Gegenleistung für meinen Gemeinschaftsbeitrag (viele sagen auch hier: "Wenn ich mich mit den GenossInnen zusammentue, was habe ich/wir denn davon?") Es muss mir oder meinem Projekt etwas bringen. Das ist zwar legitim, aber auch Rentabilitätsberechnung, erzeugt Zwang zum sofortigen Ertrag - "Mal gucken, was die da vorhaben...", u.U. war’s das dann schon!
  • Die Mühen dieser Ebene ist im Alltag zu anstrengend bzw. bedeutet noch mehr Zusatzarbeit. Bei zu langer einseitiger Belastung erfolgt Rückzug, scheinbar geht es alleine besser (Lob für die Anwesenden und mich, einen Tag Zeit genommen zu haben, um uns über diese Fragen auszutauschen. Heute morgen um 6:00 Uhr hat’s auch etwas gezuckt bei mir...). Dieser Punkt ist hochprozentig, das ist schon der entscheidende Grund für's Scheitern.

Andererseits

  • Vernetzung ist nur langfristig nützlich
  • Vernetzung hat einen Selbstzweck, unabhängig vom sog. eigentlichen Kooperationszweck. Z.B. Kontakte sind wichtig, Treffen interessanter Leute, Klatsch und Tratsch (vornehmer: Info-Börse), ich brauche nichts dazu - kann aber etwas in einem Solidarkreis dazu tun, Kraft und Einigkeit spüren, evtl. auch ähnliche Verzweiflung
  • Überbetriebliche Kooperation ist förderlich, erleichtert, macht das Erreichen von Projektzielen oft erst möglich, z.B. durch Wissenstransfer, Erfahrungsaustausch, kostensenkendes Wirtschaften, gegenseitige Unterstützung, starke Interessenvertretung gegenüber anderen Akteuren und gesellschaftlichen Institutionen

Das ist einleuchtend und notwendig, aber: Alle Ansätze haben bisher keine wirksamen, übergreifend handelnden Akteure hervorgebracht.

Wieder die Frage: Warum?

Ausgangspunkt für die meisten Projekte ist der gesellschaftliche Gegenentwurf. "Was wir tun und wie wir’s tun", das ist die Motivationsgrundlage. Das umzusetzen erfordert Autonomie und Individualität, der betriebsnotwendige Egoismus, dessen Herstellung und Erhalt einen überschaubaren, verlässlichen Rahmen erfordert.

Das ist etwa das Gegenteil von dem, was in größeren Verbünden erfahren wird, dort bist Du abhängig von unkalkulierbaren Entwicklungen und verfügst nur über bedingte Einwirkungsmöglichkeiten.

Die Folge ist ein Dilemma. Denn für das Erreichen von Projektzielen ist gemeinsames, solidarisches und politisches Wirken nach außen erforderlich. Es besteht die Notwendigkeit für eine Öffnung der Gruppe nach außen, das Eingehen von Verbindungen und betriebsübergreifendes Handeln, gerade nicht Rückzug bei Krisen und Bedrohungen, gerade kein Einigeln bei Kürzungen oder Angriffen auf die Existenz.

Die Lösung des Dilemmas besteht dann oft in einer Definitionsänderung: Das Erreichen des Projektzieles wird bereits in der Abkehr von der Normalwirtschaft gesehen, die Existenzsicherung des gelebten Projektalltags als Demonstration der Andersartigkeit zum Ziel umdefiniert (für die meisten Projekte ist ohnehin die Ablehnung der kapitalistischen Lebens- und Wirtschaftsweise das bestimmende Motiv, nicht eine praktische, visionäre Vorstellung von einer übergreifenden, massenhaften und geldlosen Versorgungswirtschaft).

Das führt zu projektinterner Immigration. Diese Projekte verschwinden dann oft sang- und klanglos (z.B. bei Auslaufen einer Förderung, Insolvenz, Konflikten, etc.), und erst dann wird dieser Prozess überhaupt sicht- und spürbar.

Nächster Mangel oder Hürde: Ein zu kurz greifender politischer Diskurs am Anfang, seltene Überprüfung unterwegs und ein pragmatischer, alltäglicher 'Gebrauchswertumgang' führen zu Oberflächlichkeit und nur allgemeinen Aussagen, weil ein möglichst großes Volumen das Ziel ist. Das bringt aber weder politischen Anstöße nach außen, noch politische Motivation für innen.

Ein politischer Diskurs ist aber zwingend erforderlich. Die Hegemonie der herrschenden ökonomischen Theorie und der davon dominierten Politik zwingt zur Rechtfertigung nach außen, erzeugt einen permanenten Legitimationszwang für alternativ-ökonomisches Wirtschaften, für andere ökonomische Ziele, für die Ablehnung von Ausbeutung, für Gleichberechtigung und Gegenseitigkeit.

Wenn ich mich dem stelle, brauche ich ein angemessenen Selbstverständnis meines eigenen Tuns, wie auch eine klare Analyse der mich umgebenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Realität. Nur so kann ich der ständigen Fragestellung begegnen: "Wozu mache ich das eigentlich?" Das ist bei dieser Arbeit ein ständiger Begleiter im Alltag, anders als bei abhängiger Beschäftigung oder Tätigkeiten in institutionalisierter Form (z.B. auch in der Uni).

Die Verinnerlichung eines anderen Wertesystems ist erforderlich. Nicht mehr Anerkennung über Bruttoeinkommen, Karriere, Rangordnung, Titel, Entscheidungshoheit, sondern Lebensqualität durch Zeiteinteilung, soziale Integrität, Mitgestaltung und Mitentscheidung, eine Wirtschaftsweise, in der der Mensch im Mittelpunkt steht und nicht das Benchmarking. Dafür ist eine politische Begründung, in ständig aktualisierter Form, unerlässlich.

Schlussspurt

  1. Kooperation ist unumgänglich zur Sicherung der eigenen Projektziele und für jegliche politische Arbeit, um dem Kapitalismus das Wasser abzugraben, zumindest einige Staustufen zu errichten.
  2. Jede Vernetzung braucht eine ‘eigene Seele’, ein unverwechselbares Gesicht (z.B.: "Wir sind das Dresden mit Zukunft: Wenn eure Stadtkassen längst leer sind, gibt es uns immer noch, also kommt lieber gleich zu uns!")
  3. Jedes einzelne Projekt/Gruppe ist eine Keimzelle für ein gemeinschaftliches solidarisches Handeln - Potential schlummert.
  4. Wir müssen unsere Zusammenhänge aus den spezifischen Berdürfnissen und Bedingungen der jeweiligen Gegebenheiten entwickeln. Lernen von anderen ist möglich allenfalls in der rechtlichen und organisatorischen Struktur und aus Fehlern. Adaption ist nicht möglich.
  5. Und letztens: Wir sind somit zum Erfolg verdammt - es gibt Schlimmeres auf dieser Welt.